Interview mit Jan Zimmermann, Europameister Footbag


Jan, warst du schon als Kind ein Bewegungsmensch?

Aufgeweckt war ich schon, aber als ausgesprochen sportlich würde ich mich damals nicht bezeichnen. Im Gegenteil. Durch meine Asthmaerkrankung im Alter von sechs Jahren war ich lange Zeit sportlich eingeschränkt und habe sogar das eine oder andere Mal einen Asthmaanfall „vorgetäuscht“, um nicht am Sportunterricht teilnehmen zu müssen.

Ernsthaft mit Sport angefangen hab ich dann eigentlich erst als ich elf war. Aus meiner Schulklasse haben damals einige einen Rock’n’Roll Anfängerkurs besucht, unter anderem ein Mädchen, in das ich verliebt war. In der Hoffnung, ihr Tanzpartner werden zu können, hab ich mich dann auch zum Kurs angemeldet. Leider wollte sie aber nichts von mir wissen. Spass hat mir das Tanzen aber doch gemacht und so bin ich ein paar Jahre dabei geblieben.

Ich habe durch das Tanzen gelernt, dass wenn ich Spass am Sport habe, auch mein Asthma mir weniger Probleme bereitet. Seitdem habe ich eigentlich immer Sport in der einen oder anderen Form getrieben. Heute bin ich, auch im Sport, weitgehend beschwerdenfrei.


Du bist 1990 Landesmeister im Rock'n'Roll -Tanzen geworden. Tanzen hat auf den ersten Blick nichts mit Footbag zu tun. Wie bist du zum Footbag-Sport gekommen?

Mich hat am Tanzen neben dem sportlichen immer auch der künstlerische Aspekt fasziniert. In diesem Sinne ähneln sich Rock’n’Roll Tanzen und Footbag Freestyle sehr. Zumindest wenn es um Wettkämpfe geht. In beiden Sportarten muss für den Wettkampf die technische Leistung in eine ansehnliche Choreografie verpackt werden. Es geht um mehr als nur der stärkste oder schnellste zu sein, auch der Kopf, die Phantasie, wird gefordert.

Vom Tanzen zum Footbag bin ich aber nicht auf direktem Wege gelangt. Nach dem Tanzen habe ich erst einige Zeit Tennis und mehrere Jahre Fussball gespielt. Bei einer Schulreise in die USA Anfang der neunziger Jahre haben wir dann das Footbagspielen entdeckt. In jeder Hofpause haben wir danach den kleinen Bag gekickt. Aber eher als Hobby, denn als Sport. Als unser einziger mitgebrachter Footbag dann kaputt ging (nach 5 Jahren!) mussten wir uns nach Nachschub umschauen und haben dabei die Internetseite der World Footbag Association in den USA entdeckt. Dadurch haben wir festgestellt, dass Footbag nicht nur ein Pausenspiel, sondern ein richtiger Sport sein kann, mit Wettkämpfen und allem drum und dran.

Und von da an ging es los. Wir haben uns Lehrvideos bestellt und angefangen zu trainieren. Einen Verein gegründet und Kontakte zu den wenigen anderen „ernsthaften“ Footbagspielern in Europa geknüpft. Seitdem bin ich sowohl sportlich als auch organisatorisch im Footbagsport aktiv.


Was fasziniert dich am Footbag-Spiel?

Footbag hat sehr viele Ebenen. Vom gemütlichen Freizeitvertreib bis hin zum Hochleistungssport. Das Schöne ist, dass die Übergänge recht fliessend sind und man auf jeder Ebene viel Spass haben kann. Ich kann mich im Sommer auf der Wiese am See zu wildfremden Leuten in den Kreis stellen und mit ihnen den Bag kicken, oder ich kann bei den Weltmeisterschaften mit den besten Spielern der Welt in einem Shredcircle spielen. Beides bereitet mir gleichermassen Freude.

Footbag ist auch immer und auf jedem Level ein geselliges Spiel. Der Einstieg erfolgt immer über die Frage „kann ich mitspielen?“ und die Antwort lautet nie „nein!“.

Wenn man Footbag Freestyle als Sport betreibt trainiert man zwar viel alleine, aber den Sport ausüben, tut man immer gemeinsam mit anderen. Selbst bei Wettkämpfen entscheidet zwar, wer alleine auf der Bühne die beste Leistung erbringt, aber diese 2 Minuten sind verschwindend wenig verglichen mit der Zeit, die man damit verbringt, mit andern Leuten im Kreis zu stehen und seine neuesten Tricks zu zeigen.
Das Faszinierende am Spiel Footbag ist also für mich das Gesellige, die Interaktion mit anderen Menschen, gekoppelt mit Bewegung.

Am Footbag Freestyle als Sport fasziniert mich die ungeheure Freiheit an Entfaltungsmöglichkeiten. Es gibt tausende von Tricks, die man lernen und kombinieren kann. Mit der Art von Tricks und Combos, die man sich aneignet, definiert man seinen eigenen, individuellen Style. Und die Krönung ist es dann, das alles dann auf der Bühne mit Musik zu kombinieren.


Du hast in der Schweiz eine Vorreiterrolle eingenommen und den ersten offiziellen Schweizer Footbagverein gegründet (Planet Footbag Zürich, der heute ein gesamtschweizerischer Verein zur Förderung des Footbagsports ist). Weshalb?

Ich habe wie gesagt Ende der neunziger Jahre schon den ersten Fotobagclub in Deutschland gegründet, bin dann aber 1998 zum Studium in die Schweiz gekommen. In Zürich gab es schon sehr viele Footbagspieler, aber noch keine, die ernsthaft Freestyle gespielt haben. Ein paar von diesen „Park Hackern“ haben mich Freestylen gesehen und wollten das auch lernen. So habe ich ihnen vorgeschlagen, doch auch einen Verein in Zürich zu gründen. Ein Jahr später kam dann ein Verein in Basel dazu und kurz darauf ein Verein in Lausanne. Inzwischen gibt es 10 Vereine in der Schweiz, wo Footbag trainiert wird und etwa 200 Spielerinnen und Spieler, die Footbag als Sport betreiben.

Schweizer Freestyler und vor allem Freestylerinnen gehören heute zu den Besten der Welt.

Seit 2001 werden jedes Jahr Schweizer Meisterschaften im Footbag abgehalten (dieses Jahr am 14. Mai im Dynamo in Zürich) und auch das grösste Internationale Footbagturnier der Welt (neben den Welt- und Europameisterschaften), der FootJam, findet seitdem in der Schweiz statt. 2006 werden ebenfalls die Europameisterschaften in der Schweiz stattfinden (Lausanne).

Die Vereine haben sich relativ früh zur Internetpräsenz der „Swiss Footbag Association“ (www.footbag.ch) zusammengeschlossen, um ein Portal für alle Footbaginteressierten in der Schweiz bereitzustellen.

Die meisten Projekte rund um Footbag in der Schweiz werden von dem Verein planetfootbag finanziert, dem ebenfalls Spieler aus allen Regionen der Schweiz angehören. Als gute Footbags in Europa noch Mangelware waren, haben wir beschlossen, unsere eigene Footbagmarke zu gründen und die Bags selbst zu vertreiben. Das verdiente Geld wird genutzt, um den Footbagsport in der Schweiz zu unterstützen.


Du hast an vielen Wettkämpfen teilgenommen, viele Auszeichnungen und Titel errungen, z.B. 1999-2001 Deutscher Meister im Footbag Freestyle, 2001 Europameister im Doppel Footgbag Freestyle oder Auszeichnungen für hervorragende sportliche Leistungen erhalten. Wie und wie oft trainierst du?

Wie in allen Sportarten kann man nicht erfolgreich sein, wenn man nicht viel trainiert. Dass meine Erfolge nun schon ein paar Jahre zurückliegen zeigt, dass ich nicht mehr so viel trainiert habe, wie ich eigentlich müsste ;-)

Ich achte aber immer noch darauf, regelmässig zu trainieren. Der Verein mit den regelmässigen Trainingszeiten hilft mir dabei sehr. Zu meiner aktivsten Zeit habe ich fast jeden Tag mehrere Stunden Footbag gespielt. Während meines Studiums hab ich mindestens 2x die Woche 2-3 Stunden trainieren können - plus natürlich alle sommerlichen Shredsessions am See. Heute komme ich aus beruflichen Gründen, aber auch weil die organisatorischen Verpflichtungen im Footbag immer mehr zunehmen, nicht mehr so oft zum Trainieren. Ich gehöre aber inzwischen auch zum alten Eisen im Footbag und habe nicht mehr den Ehrgeiz, unbedingt zu den Besten zu gehören.


Du hast eine tolle schulische Karriere hinter dir und bist am Abschliessen eines erfolgreichen Studiums. Siehst du irgendwelche Parallelen zwischen beruflichem und sportlichen Erfolg?

Sport ist immer eine gute Möglichkeit, den Kopf frei zu bekommen und neue Kräfte für den schulischen/beruflichen Alltag zu sammeln. Ich denke, wichtig ist aber, dass man eine Sportart betreibt, die auch den Kopf mit einbezieht. Ich kann beispielsweise nur richtig abschalten, wenn ich mich auch im Kopf mit ganz anderen Sachen beschäftige. In sofern erfüllt ein Hobby eine ähnliche Funktion. Für mich ist Footbag beides - Sport und Hobby.

In der Schule wie im Sport war mir immer klar, dass es Zeiten gibt, zu denen man kämpfen und sich durchbeissen muss. Im Studium habe ich beim ersten Anlauf das Vordiplom nicht geschafft. Auch in der Schule stand ich einmal knapp davor, eine Klasse wiederholen zu müssen. Im Sport werfen einen Verletzungen immer wieder zurück. Aber dass nicht immer alles glatt läuft, gehört, denke ich zum Leben dazu. Es ist wichtig, sich nicht entmutigen zu lassen und vor allem eine positive Grundeinstellung zu bewahren.


Du arbeitest im Moment an deiner Doktorarbeit. Ein angefressener, erfolgreicher Footbagger und ein seriöser Dr. der physikalischen Chemie - ist das vereinbar?

Ich gebe zu, die Kombination ist etwas ungewöhnlich. Man könnte denken, es wäre für meine Karriere besser, ich würde Golf spielen und für mein Image als Freestyler besser, ich würde Streetwear designen oder so was. Aber das sind meiner Meinung nach alles nur Klischees.


Wem & weshalb würdest du empfehlen, mit einem Footgbag-Training zu beginnen?

Footbag spielen (also das Kicken im Kreis mit Kollegen) kann ich wirklich nur allen empfehlen! Man bewegt sich, muss aber keine „Leistung“ erbringen. Man erhöht seine eigene Koordinationsfähigkeit, ohne bewusst zu trainieren. Und es ist extrem kommunikativ, d.h. man kommt schnell mit anderen Leuten ins Gespräch.

Footbag ernsthaft trainieren sollten aber nur solche, die wirklich vom Footbagspielen angefressen sind. Es gibt derzeit noch wenige Clubs in der Schweiz, wo es Trainingsmöglichkeiten gibt; d.h. man ist am Anfang eher auf sich allein gestellt. Auch ist Footbag Freestyle eine sehr anspruchsvolle Sportart, die ein hohes Mass an Durchhaltevermögen erfordert. Gerade am Anfang, wo alle Bewegungen noch völlig neu sind und einem der Bag die ganze Zeit vom Fuss rutscht. Aber wer wirklich vom Freestyle fasziniert ist, dem kann ich nur sagen, dass es sich lohnt, diese erste Durststrecke zu überwinden!


Welches war dein schönstes Erlebnis mit dem Footbag?

Bei den Europameisterschaften 2001 bin ich mit dem Ziel angetreten, Freestyle-Europameister im Einzelwettbewerb zu werden. Ich hatte mich monatelang darauf vorbereitet und meine Kür perfekt geplant. Im Halbfinale ist dann aber so ziemlich alles schief gegangen, was schief gehen kann und ich bin in hohem Bogen rausgeflogen. Ich war natürlich am Boden zerstört und wollte an dem Tag eigentlich gar nichts mehr von Footbag wissen. Kurze Zeit später war aber noch das Doppel Freestyle Finale, für das mein Partner Ole und ich uns qualifiziert hatten. Wir hatten eigentlich nur zum Spass mitgemacht und uns keine Chancen auf den Titel eingeräumt. Ich wollte auch gar nicht erst im Finale antreten, weil ich noch so enttäuscht von meiner Leistung im Einzel war, aber Ole hat mich dann doch überredet.

Im Finale haben wir dann eine Show hingelegt, bei der einfach alles gepasst hat. Das Publikum hat uns mit Standing Ovations bejubelt und wir sind schlussendlich Europameister geworden. Im Sport war das bisher mein schönstes Erlebnis.

Jan und Ole auf dem Weg zum Europameistertitel
Jan in action



Vielen Dank Jan, für das ausführliche, interessante Interview! Wir wünschen dir weiterhin guten beruflichen, sportlichen und privaten Erfolg!


Schülerfragen
von Michelle


Macht Ihnen Ihre Sportart heute mehr oder weniger Spass als früher?

Ganz ehrlich hatte ich eine Zeitlang Mühe damit, nicht mehr zu den Besten zu gehören. Inzwischen kann ich aber gut damit leben und freue mich, meine Erfahrungen an andere weitergeben zu können. Spass habe ich nach wie vor, nur auf einer anderen Ebene.

von Manuel

Ist es schwer, das Gleichgewicht zu halten, wenn man Footbag spielt?
Es ist ja eigentlich wie mit einen normalem Lederfussball zu jonglieren.
Wie lange würden Sie noch mit dieser Sportart weiter machen?

Beim Footbag Freestyle ist ein gutes Gleichgewicht das A und O. Gerade wenn man Tricks mit Körperdrehungen macht. Beim normalen Jonglieren ist es dem Fussball tatsächlich sehr ähnlich, aber einfacher. Weil der Footbag nicht so doll "abspickt" wie ein Fussball.

Im Profi Bereich kenne ich Spieler, die auch mit 50 Jahren noch mithalten können (allerdings in der Disziplin "Footbag Netz"). Deswegen bin ich zuversichtlich, dass ich noch viele Jahre Footbag spielen kann. Ich denke, ich werde einfach weitermachen, bis ich keinen Spass mehr daran habe.

Gruss
Jan Zimmermann



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